Europäische Klimaziele im Rahmen des Green Deal verlangen den Austausch veralteter Heizungsanlagen und die verstärkte Nutzung neuer Energieträger. Der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Heizungsindustrie (BDH), Andreas Lücke, beschreibt im Interview die Lage der deutschen Heizungsbranche: „Die Technik ist da, trotzdem gibt es noch viel zu tun.“
Herr Lücke, der BDH bzw. dessen Mitglieder, die deutsche Heizungsindustrie, ist „Green Deal ready“. Was ist der Green Deal und wo kommt da die Heizungsindustrie ins Spiel?

Lücke: „Der European Green Deal wurde von EU-Kommissionspräsidenten Ursula von der Leyen im Dezember 2019 vorgestellt. Das Konzept verfolgt das langfristige Ziel, Europa im Jahr 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen. Für das Etappenziel im Jahr 2030 legt die EU eine CO2-Reduktion von mindestens 55 Prozent gegenüber dem Jahr 1990 fest. Der Gebäudebereich und somit auch der Wärmemarkt als größter Energieverbrauchssektor Deutschlands und Europas spielt bei der Erreichung dieser Ziele eine zentrale Rolle. Einerseits liegen enorme Potenziale im anlagentechnischen Bereich, da ein großer Teil der Heizsysteme veraltet und nicht mehr auf Stand der Technik ist. Zum anderen bieten auch die Energieträger im Wärmemarkt zunehmend grüne Perspektiven. Dafür zeigt der BDH im Rahmen der kommenden ISH digital, der Weltleitmesse für Wasser, Wärme und Klima, zusammen mit seinen 14 Partnerverbänden auf dem digitalen Technologie- und Energie-Forum technische Lösungen zur Erreichung der EU-Klimaziele im Gebäudebereich.“
Die Umsetzung des Green Deal im Gebäudebereich ist nach Ihren Aussagen möglich. Mit welchen Maßnahmen lassen sich die Ziele erreichen?
Lücke: „Mit Blick auf die Zielerreichung geht der BDH von der hypothetischen Annahme aus, dass aufgrund des Beschlusses im Rahmen des Green Deals auch für den Gebäudebereich eine Verschärfung vorgenommen wird. Angenommen wird ein Absenkungsziel für den Gebäudebereich von 60 Millionen Tonnen bis 2030 anstelle der bisherigen 70 Millionen Tonnen an.
Technisch ist diese ambitionierte Zielsetzung erreichbar. Zum einen durch die Modernisierung von rund zwölf Millionen veralteten Heizungsanlagen. Die deutschen Hersteller bieten hier ein umfangreiches Produktportfolio an von der effizienten Brennwerttechnik über Wärmepumpen und Holzzentralheizungen bis hin zu hybriden Heizsystemen sowie KWK-Anlagen und Brennstoffzellenheizungen.
Zum anderen werden die Energieträger zur Dekarbonisierung im Wärmemarkt beitragen. Künftig werden die Anteile im Energiemix von grünem und blauem Wasserstoff, Biomethan, grünem Strom, E-Fuels und Holzenergie deutlich zunehmen und dadurch weitere CO2-Einsparungen ermöglichen.“

Wo liegen Ihrer Meinung nach aktuell die größten Herausforderungen bei der Umsetzung dieser Maßnahmen? Wie könnten wir schneller vorankommen?
Lücke: „Mehr als jede zweite Heizung in Deutschland ist veraltet. Insgesamt sprechen wir von zwölf Millionen Anlagen. Das macht deutlich, dass die Heizung für viele Menschen nach wie vor nicht die oberste Priorität hat. Daher müssen Politik, Industrie, Handwerk, Planer und Architekten zusammen an einem Strang ziehen und immer wieder auf die positiven Effekte einer Modernisierung hinweisen. Eine Modernisierung zahlt nämlich nicht nur auf den Klimaschutz ein, sie rentiert sich auch in überschaubarer Zeit aufgrund des geringeren Energieverbrauchs. Zugleich muss die Politik geeignete Rahmenbedingungen setzen. Aus dem Markt wissen wir, dass Vorschriften und Verbote die Menschen nicht für den Klimaschutz begeistern. Daher vertritt der BDH die Position, auf Ordnungsrecht weitestgehend zu verzichten und stattdessen attraktive Anreize zum Beispiel in Form von Förderprogrammen zu setzen.“
Die produzierenden Unternehmen der Heizungsindustrie konnten ihre Umsätze 2019 steigern und auch für 2020 geht man von einem Umsatzwachstum aus. Wie sieht die Entwicklung der einzelnen Produktbereiche aus?
Lücke: „Trotz der Pandemie und dadurch bedingten zeitweiligen Beeinträchtigungen in den Produktionsabläufen, hat sich insbesondere der deutsche Markt 2020 positiv entwickelt. Dies ist vor allem auf die seit Beginn des Jahres im Rahmen des Klimapakets in Kraft getretene attraktive Förderkulisse zurückzuführen. Insbesondere Wärmepumpen, Holzzentralheizungen aber auch hybride Heizsysteme haben von dieser Förderung stark profitiert. Wir gehen davon aus, dass sich diese positive Entwicklung auch im kommenden Jahr fortsetzen wird.“
Welche Auswirkungen hat die Corona-Pandemie auf die Umsätze der Branche und können Sie eine Prognose für 2021 geben?
Lücke: „Der deutsche Heizungsmarkt zeigte sich in der Krise robust. Neben der bereits genannten Förderung sorgte auch eine Verschiebung der Aktivitäten im SHK-Handwerk von Sanitär hin zur Heizung für positive Effekte. Für den deutschen Markt gehen wir im Jahr 2021 von einer Fortsetzung dieser Entwicklung aus. Die europäischen Märkte, insbesondere in UK, Frankreich, Italien und Spanien waren durch die Corona-Pandemie und die harten Lockdowns in einigen Ländern im Frühjahr zeitweise stark beeinträchtigt. Mittlerweile haben sich einige diese Märkte weitestgehend erholt. Es wird nun auch darauf ankommen, dass das soeben von der EU verabschiedete Corona-Wiederaufbaupaket in Höhe von 750 Milliarden Euro mit Klimaschutzmaßnahmen verknüpft wird. So hat die europäische Heizungsindustrie der Politik ein „Scrappage scheme of old and inefficient heating installations” vorgeschlagen, mit dem der Austausch alter und ineffizienter Heizungen deutlich beschleunigt würde.“
Zum Fachartikel: ISH digital 2021: Heizungsindustrie ist "Green Deal ready"